Zur Person:
Ulrich Kriese
Geb. 1967, Siedlungspolitischer Sprecher des Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU). Seit 2009 Mitarbeiter der Stiftung Edith Maryon. Arbeitsschwerpunkte: Nachhaltige Stadt- und Siedlungsentwicklung, nachhaltiges Bauen und Immobilieninvestment.
Für den Bau von Straßen und Häusern werden große Flächen unter Beton und Asphalt begraben. Darunter leidet der Boden, aber auch die Ökologie ganzer Landstriche, wenn etwa die Lebensräume von Tieren in kleinere Teile zerschnitten werden.
Gegenwärtig werden in Deutschland jeden Tag über 100 Hektar freie Landschaft zersiedelt und versiegelt. Das sind rein rechnerisch 12 Quadratmeter in der Sekunde. Der größte Teil hiervon geht auf das Konto neuer Wohn- und Gewerbegebiete und zu Lasten landwirtschaftlich genutzter Fläche. Rund ein Viertel wird zu neuen Straßen und anderen Verkehrswegen. Hinzu kommen Grün- und Erholungsflächen, Parks, Friedhöfe und Gärten, da sie nicht zur freien Landschaft gehören, sondern als Siedlungsgrün betrachtet werden müssen.
- Versiegelter Boden kann seine Funktion für die Grundwasserneubildung und -reinhaltung nicht mehr erfüllen. Insbesondere bei starken Regenfällen und ungünstiger Wetterlage kommt es zu erhöhtem Oberflächenabfluss und damit zu einer Beeinträchtigung des Wasserhaushalts mit der Folge einer wachsenden Hochwassergefahr.
- Vor allem durch Verkehrswege wird die Landschaft und damit der Lebensraum von Tieren und Pflanzen immer stärker zerschnitten. Biotope werden geschädigt oder zerstört, Wanderkorridore werden unterbrochen und Tiere mit größeren Aktionsradien verlieren ihren Lebensraum. Die Flächenzerschneidung gilt als eine wesentliche Ursache des Artenverlustes.
- Durch die Flächeninanspruchnahme werden auch und gerade siedlungsnahe Erholungslandschaften beeinträchtigt oder gehen gar verloren. In der Folge müssen für das Naturerleben immer weitere Strecken zurückgelegt werden.
- Es entstehen zusätzliche Verkehrsbelastungen durch längere Wege, somit mehr Lärm und klima- und gesundheitsschädliche Emissionen, verstärkt durch eine nicht ausreichend dichte Bebauung und die meist fehlende oder ungenügende Anbindung neuer Baugebiete an die Netze des öffentlichen Nahverkehrs und des Radverkehrs.
- Bebaute Flächen behindern die Abkühlung bodennaher Luftmassen und reduzieren den Luftaustausch und damit regionale Luftbewegungen.
- Schädigung und Verlust fruchtbarer Böden, somit Verlust von Flächen zum Anbau von landwirtschaftlichen Erzeugnissen sind die Folge.
Auswirkungen auf die Gesellschaft
Immer deutlicher werden aber auch die sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Landschaftsverbrauchs, die ein Umdenken erforderlich machen. Kurze Wege und lebendige Orte gewährleistende Nutzungsmischungen zwischen Wohnen, Handel und Gewerbe sowie belebte Innenstädte und Stadtteilzentren gehen zunehmend zugunsten großflächiger Gewerbegebiete und eintöniger Einfamilienhaussiedlungen am Stadtrand verloren. Mit dem Wegzug derer, die in der Stadt keine für sie attraktiven Wohnbedingungen finden, verändern sich die sozialen Strukturen in ganzen Stadtteilen.
Trotz stagnierender beziehungsweise in immer stärkerem Maße auch zurückgehender Bevölkerung weisen viele Kommunen neue Wohn- und Gewerbegebiete aus, überbieten sich dabei noch gegenseitig und erhoffen sich dadurch zusätzliche Steuereinnahmen oder die Möglichkeit, ihren Haushalt zu sanieren. Studien zeigen jedoch, dass sich neue Baugebiete für die Kommunen aus finanzieller Sicht bestenfalls als neutral erweisen. Zusätzliche Einnahmen und Ausgaben aufgrund eines Neubaugebietes halten sich meist gerade die Waage, wobei in den ersten Jahren die zusätzlichen Ausgaben deutlich überwiegen. Werden weitere Folgekosten ehrlich einbezogen, erweisen sich Neubaugebiete häufig sogar als Zuschussgeschäft und sind somit grundsätzlich ungeeignet, um einen Gewinn für den Haushalt einer Kommune zu erwirtschaften. Der interkommunale Wettbewerb um Einwohner und Arbeitsplätze verliert damit eine seiner wichtigsten Begründungen. Eine kosteneffiziente, sprich Flächen sparende und Landschaft schonende Siedlungsentwicklung ist folglich auch ökonomisch vernünftig.
Die Rechnung geht nicht auf
Ehrlich gerechnet ist das Bauen auf der „grünen Wiese“ auch für den Privathaushalt unattraktiv. Sind für den Hauskauf weniger Mittel nötig, weil ein günstiges Grundstück in peripherer Umgebung statt innerorts gewählt wurde, steigen die Mobilitätskosten, da sich die Wege zur Schule, zu Freunden, zum Sport oder zum Einkaufen verlängern. Am höchsten sind die damit verbundenen Kosten, wenn das Haus nur mit dem PKW zu erreichen ist.
Ungerechterweise zahlen Haushalte in dicht bebauten zentralen Lagen mehr Gebühren zum Unterhalt der öffentlichen Infrastruktur als eigentlich nötig, weil eine dichte Bebauung höchst effizient ist. Deren Zuviel an Gebühren wird aber benötigt, um die überdurchschnittlichen Ausgaben für die Infrastruktur in den Randlagen zu decken. Denn die Haushalte dort zahlen deutlich weniger Gebühren, als zum Erhalt der Infrastruktur eigentlich nötig ist.
Diese stark lageabhängigen Kosten beeinflussen mittelbar natürlich auch den Wert von Immobilien. Wegen der insgesamt rückläufigen Bevölkerungszahl und der rückläufigen Immobiliennachfrage mit entsprechendem Preisverfall gelten Immobilien in Randlage somit schon heute längst nicht mehr als sicherste Form der Altersvorsorge.
Ursachen und Hintergründe
Die Ursachen und Hintergründe des anhaltenden Flächenverbrauchs sind zahlreich und von unterschiedlicher Komplexität. Im Einzelnen sind zu nennen:
- Wunsch nach „Wohnen im Grünen“
- Zunahme der Zahl der Haushalte, insbesondere von Ein- und Zweipersonenhaushalten (trotz gleichbleibender Bevölkerungszahl)
- Ineffizienter Umgang mit der Ressource Fläche
- Stadt-Land-Preisgefälle der Ressource Boden
- Wertanstieg von Boden durch die Ausweisung von Bauland
- Staatliche Fördermittel und steuerliche Anreize
- Angebotsorientierte und stark an Investorenwünschen ausgerichtete Planung der Städte und Gemeinden
- Fehlende Abstimmung zwischen Kommunen
- Allgegenwärtige Autoverfügbarkeit
Handlungsbedarf bei Bund und Ländern
Der Gedanke, Wirtschaftswachstum und Wohlstand sei an ein Wachstum in die Fläche gekoppelt, entstammt dem zu Ende gehenden Ölzeitalter und einem Glauben an die immerwährende Verfügbarkeit von billiger Energie. Künftig gilt es daran zu arbeiten, Wachstum und Wohlstand dauerhaft mit weniger Ressourceneinsatz sicherzustellen. Eckpunkte eines Maßnahmenkonzepts zum Flächensparen sind:
- Eine ökologische Gemeindefinanzreform,
- eine Politik, die Investitionen in den Siedlungsbestand statt am Siedlungsrand fördert,
- ein zukunftsweisendes, restriktives Planungsrecht,
- eine starke Raumordnung und Landesplanung,
- Kostentransparenz und verursacherbezogene Kostenanlastung, wenn neue Bau- und Verkehrsflächen ausgewiesen werden,
- eine nachhaltige Verkehrspolitik und
- Bewusstseinsbildung.
Vor allem ist eine ökologische Reform des Gemeindefinanzsystems erforderlich, welche die Grundsteuer, die Gewerbesteuer, den Einkommensteueranteil und den kommunalen Finanzausgleich umfassen muss. Die Gemeinden müssen künftig für ökologische Leistungen belohnt werden, wenn sie zum Beispiel ihre Bestandsgebiete verbessern und aufwerten oder in Grünräume, Fußwege oder Stadtplätze investieren. Statt finanzieller Anreize zur Zersiedelung bedarf es solcher zum Flächensparen und zur Innenentwicklung. Das unwirtschaftliche Erschließen neuer Baugebiete darf nicht länger durch Kompensationszahlungen des Staates und der Steuer- und Gebührenzahler ausgeglichen werden.
Dafür bedarf es auch einer Umkehr in dem für Boden, Fläche und Immobilien relevanten Fördersystem des Bundes und der Länder. Neben der Entfernungspauschale gehören auch die Bauspar- und Eigenheimförderung, die Abschreibungsfristen für Immobilien und die Grunderwerbsteuer in ihrer jetzigen Ausgestaltung auf den Prüfstand. Werden neue Bau- und Verkehrsflächen ausgewiesen, müssen künftig die Kosten und Folgekosten, die auf die öffentliche Hand und den Steuer- und Gebührenzahler zukommen, ermittelt und veröffentlicht werden. Das schafft die nötige Transparenz im Vorfeld planerischer Entscheidungen und wird dazu beitragen, Kommunen und Bürger vor teuren Fehlplanungen zu bewahren.
Der kommunale Handlungsspielraum
Der enorme gesetzliche Handlungsbedarf darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Städte und Gemeinden bereits unter dem Status quo über einen beachtlichen Handlungsspielraum für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung verfügen. Viele Kommunen schöpfen diesen Spielraum und die Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, jedoch bei Weitem nicht aus.
Das im Grundgesetz verankerte kommunale Selbstverwaltungsrecht erlaubt es jeder Stadt und Gemeinde, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung selbst zu regeln, vorausgesetzt sie hält sich dabei an Recht und Gesetz. Im Rahmen der kommunalen Planungshoheit kann sie den Bauleitplan (Flächennutzungsplan) für das gesamte Gemeindegebiet festlegen. Er wird vom Gemeinderat beschlossen und vom Land genehmigt.
Die Gemeinde ist zudem für die Innenentwicklung verantwortlich. Das bedeutet, dass sie sich gemeinsam mit den Bürgern und örtlichen Unternehmen um den Siedlungsbestand kümmert, statt auf die Neuausweisung von Baugebieten zu setzen. Innenentwicklung heißt im Kern, dass bereits erschlossene, aber nicht oder nur geringfügig genutzte Grundstücke (stille Reserven) stärker in Anspruch genommen werden, und zwar insbesondere indem sie bebaut werden – sei es erstmalig, intensiver als bislang oder durch Abriss und Neubebauung. Innenentwicklung bedeutet aber auch, dass Freiräume, Spiel-, Stadt- und Dorfplätze, Parks und Grünflächen geschaffen und aufgewertet werden. Damit kann das Wohnumfeld attraktiver gestaltet und die Nachfrage nach dem Wohnen im Bestand gegenüber dem Wohnen auf der grünen Wiese erhöht werden.
Der schwach ausgeprägte Wunsch nach Kindern bzw. Elternschaft und der steigende Anteil alter Menschen verlangen ein radikales Umdenken in der Siedlungsplanung und -entwicklung: An die Stelle von Wachstum und Expansion sollten Bestandspflege und Innenentwicklung treten. Statt auf einförmige und monofunktionale Neubaugebiete sollten Gemeinden und Investoren auf vielfältige und vielseitige Quartiere setzen, welche auch den „Schwachen“ in der Gesellschaft (Kindern, Alte etc.) und ihren Bedürfnissen gerecht werden. Es gilt, die Vorteile von Kompaktheit, Dichte und Nähe zu erkennen. Die Städte und Dörfer müssen qualitativ aufgewertet werden, ihnen muss Lebensqualität zurückgegeben werden, damit man gerne dort wohnen bleibt und hineinzieht. Lärm, Abgase und die Gefahren für Kinder durch den Straßenverkehr müssen spürbar verringert werden, ausreichend große und möglichst naturnahe Freiräume für Spiel und Erholung gut erreichbar sein.
Quelle: http://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/dossier-umwelt/61278/flaechenversiegelung?p=all
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